Rede von Andreas Meyer zur Einweihung des Denkmals am 12. Oktober 2015


Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Hinterbliebene,

liebe Lulu, lieber Roger, lieber André,

sehr geehrter Herr Prof. Morsch,

sehr geehrte Frau Baumann,

sehr geehrte Frau Enkelmann,

sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass sie heute der Einladung des Sachsenhausen-Komitees in der Bundesrepublik Deutschland e.V. gefolgt sind, um mit uns gemeinsam an jenen Tag im Oktober vor 70 Jahre zu erinnern, an dem 24 deutsche und 3 französische Häftlinge hier im Konzentrationslager bei der Reichshauptstadt Berlin – in der „Station Z“ - durch die SS erschossen wurden.

Es ist mir eine große Freude, dass wir auch in diesem Jahr unsere Freundinnen und Freunde von unserer französischen Schwesterorganisation der Amicale begrüßen können und dass diese Gedenkveranstaltung auch dieses Jahr von Schülerinnen und Schülern des Oranienburger Georg-Mendheim-Ober- stufenzentrums sowie von Ingrid Scharfschwerdt begleitet wird.

 

Mit dem Mord am 11. Oktober 1944 endete jener Zeitabschnitt, der in die Geschichte des Konzentrationslagers Sachsenhausen als »Periode der Sonderkommissionen« eingehen sollte.

Im Rahmen einer Untersuchung wegen Unterschlagungen von Wertsachen ermor-deter Juden durch Angehörige der SS im Frühjahr 1944, hatte die Kriminalpolizei Anzeichen für einen geheimen kommunistischen Widerstand im Lager gefunden. Die SS überraschte am 27. März 1944 in der Baracke 28 den Häftling Friedrich Büker beim Abhören von „Radio Moskau“. Des Weiteren fanden Sie Druckutensilien, mit denen die Häftlinge abgehörte Nachrichten auf Papier brachten, um sie im Lager zu verteilen.

Hierauf begann eine Sonderabteilung des Reichssicherheitshauptamtes mit ihren Untersuchungen, um eine mutmaßliche

internationale Widerstandsorganisation im Hauptlager sowie in den Außenstellen „Heinkel“ und „Klinker“ aufzuspüren und zu zerschlagen.

Nach mehrmonatigen Ermittlungen unter Einsatz von Verhören und Folterungen, die im Zellenbau, in der Station Z und am Sitz der Inspektion der Konzentrationslager stattfanden, sowie durch Spitzeltätigkeiten einiger Häftlinge, gelang es der Sonderkom-mission nachzuweisen, dass von deutschen Kommunisten eine Solidaritätsaktion unter den Häftlingen organisiert wurde.

 

Die Sonderkommission verhaftete im Laufe ihrer Untersuchung immer mehr Häftlinge. Eine Vielzahl von ihnen wurde ihrer Funktionen - als Lagerältester, Blockältester oder Vorarbeiter – enthoben. Sie kamen in schwere Arbeitskommandos oder in Isolationshaft in die Baracke 58.

Die Sonderkommission beendete im September 1944 ihre Arbeit. Der Lagerkommandant Anton Kaindl erhielt den Befehl, 27 Häftlinge vor versammelter Lagergemeinschaft öffentlich zu erhängen. Da die Lagerführung jedoch Unruhe befürchtete, wurde eine Abänderung des Exekutionsbefehls erwirkt.

Aus welchen Erwägungen heraus man sich gerade für diese 27 Häftlinge entschied, ist auch heute - 70 Jahre nach ihrer Ermordung - noch nicht abschließend geklärt. Fest steht, dass sich unter ihnen Häftlinge befanden, die mit dem entdeckten Rundfunkgerät in Verbindung gebracht werden konnten, die man der „Sabotage“ bei Heinkel bezichtigte, bei denen es sich um kommunistische Vorarbeiter oder um sogenannte „Prominente“ handelte.

Die vielfältigen Biographien der ermordeten Häftlinge zeigen, dass viele von ihnen nicht nur wegen ihres Verhaltens im KZ Sachsenhausen ermordet wurden. Vielmehr ist hierfür die Ursache in ihrer langjährigen politischen Tätigkeit in den Jahren der Weimarer Republik zu suchen. So waren unter den Ermordeten Mitglieder des deutschen Reichstages, der Landtage und der städtischen Parlamente. Es waren Funktionäre der KPD, der Jugendbewegung, es waren Gewerkschafter. Darunter waren Lehrer, Chemiker, Textilarbeiter, Dreher und Redakteure.

Andreas Meyer Foto: Jutta Harnisch
Andreas Meyer Foto: Jutta Harnisch

Die Ereignisse jenes Tages wurden bereits frühzeitig dokumentiert. Nachlesen kann man die Einzelheiten im Urteil des Landgerichts Düsseldorf. Das Gericht kam am 15.10.1960 im Prozess gegen Otto Böhme, Horst Hempel und August Höhn in seinem Urteil zu dem Schluss, dass am Abend des 11. Oktobers 1944 - diese heut zu ehrenden - 27 Häftlinge nach dem Zählappell in der „Station Z“ ermordet wurden.

 

Nach der Erschießung der 27 wurden am 20. Oktober die übrigen Häftlinge wieder aus der Isolierung ins Lager entlassen. 103 von ihnen wurden in das Konzentrationslager Mauthausen überstellt.

 

Seit vielen Jahren gedenken wir in den ersten Oktobertagen der Ereignisse von 1944. In den letzten Jahren hatten wir stets unsere Freundinnen und Freunde aus Frankreich an unserer Seite. Unser Engagement wird von dem Wunsch getragen, einem Teil der hier Ermordeten ein Stück ihrer Identität zurückzugeben und sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Es war und ist unsere feste Überzeugung, dass auch zukünftig über das Leben und Leiden der Häftlinge des KZ Sachsenhausen – unabhängig von ihrer Weltanschauung, ihrer Religion, ihrer Lebensauffassung, ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Herkunft – informiert und ihrer gedacht werden soll. Dieses umfassende Gedenken ist auch in der Zukunft erforderlich, insbesondere wenn die letzten noch lebenden ehemaligen Häftlinge dieses Lagers von uns gegangen sind.

Kennzeichnung der Baracke 58 Foto: Andreas Meyer , 2007
Kennzeichnung der Baracke 58 Foto: Andreas Meyer , 2007

Wir wollen, dass auch weiterhin an diesen Orten erinnert, gedacht, gemahnt und gelernt wird.

Aus der gemeinsamen Erinnerungsarbeit sind über die Jahrzehnte Freundschaften entstanden, die weit über diese notwendige Arbeit hinausgehen. Besonders für uns Jüngere, die die Zeit des National-sozialismus nicht erlebt haben und teilweise auch keinen direkten familiären Bezug zu ehemaligen Häftlingen des Konzentrations-lagers Sachsenhausen haben, spielt diese Freundschaft eine wichtige Rolle in unserem Leben.

 Über diese freundschaftlichen Bande bleiben wir auch nach dem Tod unserer Lieben, unserer gemeinsamen Freunden verbunden. Gemeinsam mit den ehemaligen Häftlingen, ihren Hinterbliebenen und den Vertretern der nationalen Häftlingsverbände sind wir fest entschlossen – auch wenn sich unsere Reihen lichten –, die wichtige Arbeit des Internationalen Sachsenhausen Komitees und unserer nationalen Verbände fortzu-setzen.

Dieses Jahr stand im Zeichen des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Einige der hier vor 70 Jahren Ermordeten waren als Soldaten an der Front. Aus diesem Anlass fanden in diesem Jahr zahlreiche Gedenkveranstaltungen statt. Sehr bewegend waren die Worte des französischen Präsidenten François Hollande und des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, die trotz der todbringenden Jahre die feste Solidarität und Freundschaft zwischen dem französischen und dem deutschen Volk sowie ihre Verantwortung für den Frieden in Europa hervorhoben.

 

Dass dies alles keine Selbstverständlichkeit ist, zeigte sich nicht zuletzt in den letzten zwei Jahrhunderten. Vor über 200 Jahren verlor Napoleon die Völkerschlacht bei Leipzig. Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871 gingen die Deutschen als Sieger hervor. Nicht zuletzt hat das am 18. Januar 1871 im Schloss von Versailles bei Paris gegründete Deutsche Reich unseren

französischen Nachbarn im ersten und im – vor nunmehr 75 Jahren beginnenden zweiten Weltkrieg unermessliches Leid zugefügt. Man sprach von einer "Erbfeindschaft".

Es ist Charles de Gaulle und Konrad Adenauer zu verdanken, die gemeinsam im Jahre 1963 diese politische Feindschaft beendeten und den Elysee-Vertrag unterzeichneten. Mit diesem Vertrag wurde die Freundschaft zwischen dem deutschen und französischen Volk besiegelt. Dies galt für Ost und West.

 

Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Anwesende, heute haben wir uns zu unserem gemeinsamen Gedenken zum ersten Mal im ehemaligen Kommandantur-bereich versammelt. Dies hat einen Grund.

Als am 4.12.2011 die Open-Air-Ausstellung zur Geschichte des Klinkerwerkes eröffnet wurde, nahm mich Lulu Gouffault zur Seite und fragte mich, ob wir nicht in Erinnerung an die 27 Ermordeten an der Mauer im Kommandanturbereich eine Gedenktafel anbringen sollten. Aus der damals geplanten Gedenktafel ist nun ein Denkmal, ein Denkzeichen, geworden.

 

Für die Realisierung dieses Projektes haben wir gemeinsam einen Wettbewerb für Studierende der Kunsthochschule Weißensee ausgelobt. Die inhaltliche Vorbereitung bezog sich jedoch nicht nur auf die Planung und Errichtung eines Gedenkzeichens. Die Studentinnen und Studenten haben sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung u. a. mit der Geschichte dieses Ortes und Denkmalslandschaft in Berlin intensiv beschäftigt.

 

Letztendlich haben wir uns darauf verständigt, das Denkmal zum 70. Jahrestag der Ermordung der 27 Häftlinge einzuweihen.

Die Jury bei der Arbeit Foto: Andreas Meyer
Die Jury bei der Arbeit Foto: Andreas Meyer

Dafür, dass dies so realisiert werden konnte, möchten wir uns bei Sonja Reichert, der Generalsekretärin des ISK, bedanken. Sie hat die ersten Kontakte mit der Kunsthochschule aufgenommen, ohne Sie wäre dieses Projekt niemals so ins laufen gekommen.

 

Unser Dank gilt aber auch der Rektorin der Kunsthochschule Weißensee, Leonie Baumann, und ihrem engagierten Team mit Prof. Stefanie Endlich, Dorothea Strube und Jana Sperling.

 

Wir bedanken uns bei den Studentinnen und Studenten der Kunsthochschule, insbeson-dere bei Kristin Albrecht, Sven Borger, Patricia Breves Correa da Costa, Aline Graupner, Eva Susanne Schmidhuber, Lerato Shadi und Pailin Tansawat, die sich mit großem Engagement auf diesen Wettbewerb eingelassen haben.

 

Am 31. Januar 2014 hat in Berlin in der Kunsthalle am Hamburger Platz die Jury getagt und aus den sieben eingereichten Entwürfen den Siegerentwurf gekürt. Ich danke meinen Mitstreiterinnen und Mitstreiter in der Jury für die intensive Arbeit an diesem kalten Januartag. Vielen Dank an:

 

Christa Brade und Josette Vialette, den Töchtern von zwei der hier Ermordeten

Lucienne Gouffault, der Präsidentin der Amicale d’Oranienbourg - Sachsenhausen (Frankreich)

Leonie Baumann, der Rektorin Kunsthochschule Berlin Weißensee

Amelie Kemmerzehl, der Vertreterin des AStA der Kunsthochschule Berlin Weißensee

den beiden Künstlerinnen Roswitha Baumeister und Heike Ponwitz

sowie Prof. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, der den Vorsitz der Jury übernommen hat

 

Ich danke Traude Bührmann und Karin Gram, die uns als Dolmetscher unterstützt haben, und Regina Szepansky für ihre beratende Begleitung an diesem Tag. Besonderen Dank noch einmal an Dorothea Strube, die das gesamte Projekt eng begleitet hat und diesen Tag vorbereitet hat.

 

Am Ende der durch sehr viel Sachkenntnis getragenen Jurysitzung, hat sich das Gremium einstimmig für die Arbeit „Der Klang der Erinnerung“ von Eva Susanne Schmidhuber entschieden.

 

Die Erinnerung an die 27 hat eine sehr lange Tradition. Sie stand bereits kurz nach der Befreiung im Blickpunkt des öffentlichen Bewusstseins. Am 7. September 1974 wurde durch die DDR vor den Überresten der Krematoriumsöfen ein Granitblock mit den Namen der 27 ermordeten deutschen und französischen Häftlinge eingeweiht.

Die französische Amicale pflanzte - am Standort der ehemaligen Baracke 58 - 27 Bäume.

Die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen hat es in der 2005 eröffneten Dauerausstellung "Mord und Massenmord im Konzentrationslager Sachsenhausen 1936 - 1945" nicht versäumt, die Ereignisse, die zum 11.10.1944 führten, zu dokumentieren. Dafür gilt ihr unser Dank.

 

Mit unserem Projekt wollen wir die inhaltliche Beschäftigung der jüngeren Generation mit der Zeit des Nationalsozialismus und insbesondere der Geschichte des Konzentrationslagers Sachsenhausen und ihrer Häftlinge befördern und unterstützen. Für uns ist es von großer Wichtigkeit, dass dieser authentische Ort nicht nur als Friedhof, als Stätte der Erinnerung oder als Mahn- und Gedenkstätte gesehen, sondern auch als ein aktiver Lernort verstanden wird.

Liebe Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte die heutige Gedenkveranstaltung und Einweihung des Denkmals auch dazu nutzen, um all jenen zu danken, die es letztendlich durch Ihre Spenden ermöglicht haben, dass dieses Denkzeichen heute eingeweiht werden kann.

Wir danken der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Mart-Stam-Stiftung, dem Förderkreis der Gedenkstätte Sachsenhausen und den vielen Einzelspenden unserer Mitglieder, Sympathisanten und vieler Engagierter.

 

Wir danken den Gremien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die in ihren Beratungen ihr Einverständnis zu unserem Vorhaben gegeben haben.Ich danke auch all jenen, die die heutige Veranstaltung ermöglicht haben. Den Mitarbeiterinnen der Stiftung und Gedenkstätte die die Durchführung dieser Gedenkveranstaltung unterstützend begleiten. Aber auch Prof. Morsch, mit dem ich in all den Jahren unserer Zusammenarbeit – so glaube ich jedenfalls – noch nie mittels solch umfangreichem Mail-Verkehr zu einem einzigen Thema kommuniziert habe.

 

Eva Susanne Schmidhuber Foto: Jutta Harnisch
Eva Susanne Schmidhuber Foto: Jutta Harnisch

Ich danke der Künstlerin Eva Schmidhuber für ihre innovative Idee, ihrem Engagement und ihre Ausdauer und schlussendlich auch dem ausführenden Unternehmen der FERROTEC GmbH. Ich bedanke mich bei allen für das aufgebrachte Verständnis dafür, dass einiges manchmal auch etwas länger dauert.

 

Gestatten Sie mir noch ein persönliches Wort. Ich bin seit nunmehr 16 Jahren Vorsitzender des deutschen Sachsenhausen-Komitees. All jene, die sich mit Erinnerungskultur beschäftigen, wissen, dass diese Jahre sehr ereignisreich und nicht immer leicht waren.

 

In den zurückliegenden Jahren wurde ich immer wieder im Kollegen-, Freundes- oder Familienkreis gefragt, warum ich mich mit

der Geschichte dieses Ortes so intensiv beschäftige und was von dieser Arbeit bleiben wird. Ich habe immer meine moralische Verpflichtung gegenüber den vielen Überlebenden und ihren verstorbenen Kameraden erwähnt und von der Notwendigkeit dieser ehrenamtlichen Arbeit gesprochen. Diese Beweggründe bleiben bestehen. Mit dem heutigen Tag aber werden ich und alle meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter dank Eva Schmidhuber und ihrem Werk, dem „Klang der Erinnerung“, quasi auch etwas Bleibendes hinterlassen. Danke Eva!

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

In den Abendstunden des 11. Oktobers 1944 wurden in der „Station Z“ ermordet:

 

Alfred Arendt, Heinz Bartsch, André Bergeron, Marceau Benoit, Erich Boltze, Friedrich Büker, Emil Dersch, Ernst Fürstenberg, Willi Gübsch, Arthur Henning, Rudolf Hennig, Dietrich Hornig, Otto Kröbel, Erich Mohr, Rudolf Mokry, Kurt Pchalek, Emilie Robinet, Hanns Rothbarth, Josef Rutz, Wilhelm Sandhövel, Augustin Sandtner, Ernst Schneller, Josef Schup, Gustav Spiegel, Siegmund Sredzki, Mathias Thesen, Ludger Zollikofer